Kartslalom mit Handycap: Inklusionstraining beim Rallyeclub Böblingen
Nach zwei Jahren Coronapause gab es beim Rallyeclub endlich wieder ein Inklusionstraining: Am Wochenende war die Lebenshilfe Sindelfingen zu Besuch und hatte jede Menge Spaß.
„Ich will nicht fahren“, sagt Sarah, als sie aus einem der beiden Busse der Lebenshilfe Sindelfingen aussteigt. Zusammen mit neun weiteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Handycap darf sie an einem Inklusionstraining beim Rallyeclub Böblingen auf dem Gelände der Böblinger Baugesellschaft teilnehmen. Die Bedingungen sind perfekt, die Sonne scheint, ein Zelt sorgt für genug Schatten und für Essen und Getränke ist auch gesorgt. Doch als Sarah das Elektrokart sieht und den Anhänger, in dem sie dann durch den Slalomparcours fahren soll, wird es ihr dann doch mulmig. „Ja sie hat ein bisschen Angst“, erklärt Betreuer Numan von der Lebenshilfe, der mit seinem fünfköpfigen Team den Ausflug begleitet und aufpasst, dass es allen gut geht. „Dafür können es die anderen kaum erwarten“ lacht er und schon drängen auch schon die ersten zu dem Gefährt, mit dem das Training heute stattfindet. Während beim regulären Training und den Rennen noch mit Verbrennermotoren gefahren wird, wird heute ein Elektrokart eingesetzt. „Das ist nicht nur besser für die Umwelt, sondern hat vor allem den Vorteil, dass die Teilnehmer der Lebenshilfe keine Abgase einatmen“ erklärt Moritz Berg, seit einem Jahr Vorsitzender des Rallyeclubs Böblingen. Denn beim Inklusionstraining sitzen die Fahrerinnen und Fahrer mit Handycap nicht im eigentlichen Kart, sondern in einem Anhänger, der genauso aussieht wie das Kart und auch ein Lenkrad hat – das aber ohne Funktion. Der Anhänger wird an das Elektrokart gehängt. Beide Gefährte kurven dann gemeinsam durch den Slalomparcours. So können die Jugendlichen der Lebenshilfe sicher angeschnallt das Fahrerlebnis genießen, als würden sie selbst fahren.
Die Inklusionsidee im Kartsport hat bereits einen Nachahmer gefunden.
Den Anhänger hatte vor einigen Jahren Markus Berg, Vater des Vereinsvorsitzenden entwickelt und dann mit tatkräftiger Hilfe des gesamten Vereins gebaut. Das Besondere: Der Kartanhänger folgt anders als herkömmliche Anhänger genau der Spur des Zugfahrzeugs und lässt daher selbst im engsten Slalomparcours die Pylonen stehen. Anfangs war der Rallyeclub Böblingen der einzige Verein in Deutschland, der eine derartige Ausrüstung für inklusives Training hat. Der Verein ist dafür schon mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem RTL Commit Award und er wird zudem für seine Inklusionsarbeit von der Böblinger Baugesellschaft unterstützt. Mittlerweile gibt es noch einen weiteren Kartverein, der die Konstruktion des RCB übernommen hat und ebenfalls regelmäßig Inklusionstrainings durchführt.
Das Training ist ein Gewinn für beide – Lebenshilfe und RCB.
Als erster „Beifahrer“ ist Joachim dran. Er kann es kaum abwarten, in den Anhänger zu steigen. Doch zuerst sucht Trainer Frank Koch den passenden Helm aus, denn der muss richtig sitzen. Nachdem der Helm verschlossen ist, wird Joachim fest angeschnallt und dann fährt Fahrer Tamino mit dem Zugfahrzeug los. Die erste Runde zunächst in mäßigem Tempo. „Wir müssen auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen“ sagt Frank Koch, der ein Gespür dafür hat, wieviel Tempo man den Teilnehmern der Lebenshilfe zutrauen kann. Bei Joachim ist bereits nach der ersten Runde klar: Das geht auch schneller. Und schon legen die beiden in der zweiten Runde an Tempo zu. Während fast alle Jugendlichen es kaum abwarten können, mit den RCB Fahrern Tamino, Eliano, Moreno oder Moritz durch den Parcours zu zirkeln, beobachtet die anfangs noch ängstliche Sarah das Geschehen jetzt schon etwas aufgeschlossener. Sie hat sich mittlerweile mit den RCB-Mitgliedern Katja Baumann und Nadja Annecke angefreundet. Beide helfen heute mit und sind als Heilerziehungspflegerin bzw. Erzieherin sogar vom Fach. Sie freuen sich, dass nach so langer Zeit endlich wieder Inklusionstraining stattfindet: „Das tut allen gut. Den Jugendlichen der Lebenshilfe aber auch unseren Kindern“, sagt Nadja Annecke. „Meine Söhne haben sonst kaum Kontakt zu Jugendlichen mit Handycap und solche Begegnungen fördern das Verständnis und die Rücksichtnahme. So können alle davon profitieren“. Schließlich fasst sich Sarah doch noch ein Herz, setzt den Helm auf, und steigt in den Anhänger. Als es dann losgehen soll, bekommt sie aber doch Angst. Also befestigt Frank Koch kurzerhand ein Seil am Anhänger und zieht den Hänger einfach selbst durch den Parcours. Überglücklich und mit strahlenden Augen steigt Sarah wieder aus. Heute ist sie über sich hinausgewachsen.
Nächstes Training findet im Juli statt.
Am Ende des Trainings gibt es für alle eine Medaille, auch wenn es diesmal nicht wie sonst um die schnellste Zeit gegangen war, sondern um Spaß und neue Erlebnisse: „Heute seid ihr alle Sieger“ ruft Trainer Frank Koch in die Runde und hängt jedem Jugendlichen der Lebenshilfe eine Medaille um. Lange wird es nicht mehr dauern, bis sich die Truppe wieder sieht. Das nächste Inklusionstraining findet im Juli wieder mit freundlicher Unterstützung auf dem Gelände der BBG hinter der Metro statt. Als die Gruppe nach dem Training wegfährt, zieht Frank Koch eine positive Bilanz: „Es tut einem auch selbst richtig gut, den Jugendlichen einen solchen Spaß zu ermöglichen.“